Die Vielzahl an Burnout-Erkrankungen und Depressionen, aber auch anderen Störungen, wie etwa Angststörungen in den vergangenen zwei Jahren der Corona-Pandemie ist alarmierend. Zumindest zeigen das die Zahlen an fehlenden Therapieplätzen und die viele Erkrankten. Bereits zuvor mussten Erwachsene durchschnittlich fünf Monate auf einen Therapieplatz warten, das hat eine Umfrage der Bundespsychotherapeutenkammer in 2018 ergeben (Quelle: Studie zu Wartezeiten 2018). Dabei erkranken jedes Jahr 28 % der Menschen in Deutschland an psychischen Störungen. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie hat sich die Situation noch verschlimmert, denn im Januar 2021 stiegen die Anfragen in psychotherapeutischen Praxen um 40 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Dabei erhalten laut der Studie zur Versorgung von Menschen mit Depressionen nur 6,2 Prozent aller depressiven Patienten und 10,2 Prozent der schwer depressiven Patienten überhaupt eine Psychotherapie (Kurz- oder Langzeit). Und doch ist mentale Gesundheit immer noch kein großer Thema. Doch die Bedeutung dessen sollten wir alle ernst nehmen. Daher möchten wir dem Thema auch mehr Raum geben und darauf aufmerksam machen.
Zur Burnout Prävention die eigene Mental Health stärken
Umso wichtiger ist es, dass Sie für Ihre Gesundheit sorgen und dabei alle Aspekte beachten. Zum einen hilft die körperliche Fitness, zum Anderen sollten Sie auch Ihre Mental Health stärken. Nur so sind den Anforderungen ansatzweise gewachsen. Das hat auch Sabine Sawadski bei ihrer Arbeit als Personalerin über viele Jahre erlebt und dabei viele berufliche wie private Schicksale begleiten dürfen. Als Coach und Beraterin unterstützt Sie nun Fach- und Führungskräfte bei der persönlichen Weiterentwicklung. Zudem ist sie Mentaltrainerin für Führungskräfte und arbeitet auch als Coach für Positive Psychologie und Burnout-Prävention mit ihren Coachees. Daher ist sie eine Expertin für dieses Thema. Ihre Überzeugung ist es, dass mentale Gesundheit eines der wichtigsten Güter ist, die wir uns tagtäglich aufs Neue erhalten müssen. Daher bezieht sie diese Themen auch bewusst mit in ihre Coachings mit ein. Wir haben daher mit Sabine Sawadski über ihre Erfahrungen in Bezug auf dem Umgang mit Stresssituationen und mögliche Burnout Präventionen gesprochen. Hier lesen Sie das ganze Interview:
Frau Sawadski, wie wichtig ist mentale Gesundheit gerade auch in Bezug auf die beschleunigte Arbeitswelt geworden?
Absolut wichtig, wenn nicht sogar das Wichtigste. Die ständig und gefühlt nie zuverlässigen Parameter der Arbeitswelt bedürfen eines Felses in der Brandung. Das kann jeder Einzelne nur für sich sein. Damit meine ich nicht, sich mit niemanden abzustimmen oder Konsens zu schaffen. Nein, jeder selbst trägt für sich die Verantwortung, sich um das zu bemühen und das zu pflegen, was ihm gut tut. Selbstfürsorge, auf sich selbst aufpassen – Achtsamkeit. Das ist etwas, was Generationen über Generationen nicht anerzogen wurde und nicht von Kindesbeinen an gelernt haben. Aber zurück zur eigentlichen Frage, die ich so beantworten muss: GERADE in dieser beschleunigten Arbeitswelt ist mentale Gesundheit wichtig. Denn ich selbst bin der einzige Mensch, der beständig ist. Ich bin ich – und ich muss mich stark erhalten, damit ich – in mir gestärkt – jede neue Herausforderung auch als genau das begreifen kann und nicht als Last oder gar Verdammnis. Das erzeugt nur negativen Stress und macht schlussendlich krank. Positives Denken, innere Stärke, ein klares Statement zu sich selbst, Nein-Sagen-Können zu etwas was mir nicht gut tut – nur so kann jeder quasi als Fels in der Brandung mit der stürmischen See der schwankenden Heraus- und Anforderungen umgehen. Sie kennen sicher das Sprichwort: Ich kann den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen. (Aristoteles)
Vor allem angesichts der aktuellen Lage, bedingt durch die Corona-Pandemie und die dadurch höheren Anforderungen und Stresssituationen, scheint es, als ob Diskussionen und Austausch zu Mental Health und damit auch Depressionen und Burnout mehr Gehör finden. Ist das nun die Chance, auf die Bedeutung mentaler Gesundheit und vor allem auch die Folgen von Despressionen, Erschöpfung und Burnout aufmerksam zu machen?
Auf jeden Fall. Viele unnötige Jahre wurde um psychische Thematiken ein Mantel des verschwiegenen und verschworenen Flüsterns gelegt. Schlussendlich hat sich die Gesellschaft – auch dank vieler sich mutig und öffentlich bekennender Zeitgenossen und auch Opfer ihrer traurigen Schlusshandlung – geöffnet. Und das war dringend notwendig. Kein Mensch kann dauerhaft reibungslos funktionieren.
Lassen Sie mich mal einen etwas vielleicht krass anmutenden Vergleich anstellen: Des Deutschen angeblich liebstes Kind – das Auto. Da werden regelmäßig Inspektionen gemacht, Wartungsintervalle eingehalten, mehr oder minder regelmäßig gesäubert, und bei langen Fahrten durchaus auch mal dem Auto zuliebe eine Pause gemacht. Und was machen und erwarten wir von uns Menschen? Dauerhaft linke Spur im Höchsttempo und dann möglichst noch ohne jegliche Verschmutzung am Zielort ankommen. Das kann auf die Dauer nur schief gehen. Sorry, ich schweife ab. Das Thema ist so wichtig und so weitreichend. Ja, jetzt ist die richtige und längst überfällige Zeit. Wenn nicht jetzt, wann dann?!
Wie lässt sich das Thema anpacken? Wie gelingt es vor allem, Risiken und frühe Warnzeichen besser zu deuten und darauf reagieren zu können?
In sich reinhören, ganz bewusst Pausen und Auszeiten planen – und einhalten. Wer das noch nicht versucht hat, sollte vielleicht mal eine Art Tagebuch führen. Wann und wie oft wird zum Handy/Tablet etc. gegriffen? Ist wirklich alles so super wichtig? Muss alles mit der gleichen hohen Priorität und selbst erledigt werden? Aber auch, was macht mich denn eigentlich zufrieden? Kann ich noch 5 Minuten da sitzen und tatsächlich NICHTS machen? Meine Gedanken sich selbst überlassen – oder bin ich jede Minute verplant und ärgere mich am Ende genau darüber? Warnzeichen und Signale könnten durchaus sich beschwerende Partner, Familie oder Freunde sein, die sich beklagen, dass man gar keine Zeit mehr für sie hat. Da sollte man zumindest mal in sich reinhören, ob da mangelndes Verständnis spricht, ob es phasenweise viel ist, ob man die Arbeit als Schutzschild nimmt – und wie man die Gewichtung Freizeit und Arbeit gerne hätte. Das ist das eine. Träume – im wahrsten Sinne die nächtlichen Träume während des Schlafens – wann haben Sie zuletzt geträumt? Essen Sie bewusst oder „einfach irgendwas“ nebenbei? Wann haben Sie sich zuletzt Zeit für sich genommen? Nimmt der Genuss von Rausch- und Genussmitteln zu? Wie ist das mit dem Schlaf? Schlafen Sie schnell ein, gut durch und wachen gut erholt nach einem Traum gut auf? Oder fallen ins Bett oder wälzen sich herum, wachen auf und sind morgens einfach nur gerädert? All das sind solche Vorboten, die man wahrnehmen kann, selbst und auch das Umfeld.
Sehen Sie hier die Arbeitsgeber und damit die Firmen, aber auch Führungskräfte oder jeden einzelnen selbst in der Verantwortung für sich? Wer muss hier auf wen achten und sensibilisiert sein?
Was genau wird von wem gebildet? Alle Mitarbeiter sind das Unternehmen – mal ganz provokativ. Die Arbeitgeber sind in der Verantwortung die Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass die Arbeitslast (ein in vielen Unternehmen wunder Punkt) gut zu bewältigen ist. Auch Vertretungsregeln sind in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr belächelt worden, bis sie schleichend und gefühlt verschwunden sind. Gerade werden sie wieder entdeckt. Das entlastet Mitarbeiter bei geplanten und ungeplanten Abwesenheiten. Mal abschalten können sorgt für Erholung. Sportler z. B. haben Trainingspläne, Leistung gibt es nur mit Erholungsphasen.
Die Führungskräfte müssen sich als Mittler zwischen Mitarbeiter und Unternehmen sehen und handeln – und nicht die Mitarbeiter zu noch mehr Leistung pushen, um am Ende des Jahres ihre erreichten Ziele (zu Lasten der Gesundheit ihrer Mitarbeiter) einzukassieren. Unnötige und vermeidbare Anrufe im Urlaub oder übers Wochenende voraussetzen und erwarten, dass alles schon irgendwie laufen wird, gehört nicht mehr der neuen Führungsqualität an. Sie müssen ein Klima schaffen, in dem sich Mitarbeiter trauen zu sagen, wenn etwas nicht funktioniert und/oder ihnen zu viel wird – ohne gleich Angst haben zu müssen, dass sie nicht mehr zu den Top-Performern gehören und irgendwann durch ein Raster fallen. Die Mitarbeiter, jeder einzelne selbst – und die Führungskraft ist am Ende selbst nur Mitarbeiter – muss seine Verantwortlichkeit für sich leben und eingestehen, was er kann und was ihm gut tut. Nein sagen können. Sich abgrenzen im Sinn von achtsam sein, Verantwortung sich selbst gegenüber leben.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will hier nicht zu Ungehorsam und Arbeitsverweigerung aufrufen. Konstruktive Lösungen für schwierige Situationen und Arbeitsbelastungen suchen, entwickeln und mutig neue Wege gehen. Hinterfragen, warum welche Zustände so sind und warum sie bislang so gemacht werden. Wie oft werden Dinge in der Art und Weise gehandelt, weil es schon immer so gemacht wurde, weil niemand Zeit (und Lust) hatte, sich das anzusehen und zu überlegen, ob das so weiterhin Sinn macht, wie es gemacht wird. Sie kennen sicher die Geschichte mit dem gestressten Mann im Wald, der seine Anzahl x Bäume nicht fällen kann, weil die Säge stumpf ist. Zeit, sie zu schärfen, nimmt er sich aber nicht, weil er so viel Bäume fällen muss. Es hilft aber, mal einen Schritt zurücktreten und sich und Abläufe mal aus der Meta-Ebene betrachten. Versuchen Situationen und sich selbst aus der Sicht eines Dritten zu sehen. Man selbst ist immer das Problem – man ist aber auch die Lösung.
Wie können solche Präventionsmaßnahmen aussehen? Gibt es gewisse Techniken, Fragestellungen oder Methoden?
Prävention fängt bei Verantwortlichkeiten und Transparenz an. Weiß denn jeder, was die Bedingungen und Ziele sind? Kann sich jeder abgeholt fühlen und wertgeschätzt? Das ist einer der ganz wesentlichen Punkte in der Arbeitswelt. Nicht Boni und Prämien und Goodies – sondern als Mensch wahrgenommen und gehört werden. Respekt. Aktives Zuhören einer Führungskraft und ein positives Menschenbild, dass nicht nur als Unternehmenswert auf der Fahne steht – sondern auch gelebt wird. Sonst wird es lächerlich und Unmengen von gut gemeinten Aktionen wie Gesundheitskurse, Sportangebote etc. werden ratzfatz zunichte gemacht. Vertrauen. Die Arbeitsmodelle haben sich – gerade in Coronazeiten – massiv geändert. Home Office und mobiles Arbeiten. Bis vor ein paar Jahren war das nur in wenigen Betrieben ab und an machbar. Dann mit einem Schlag waren die Unternehmen froh, dass die Mitarbeiter teilweise ihre Küchentische freigeräumt haben, damit weitergearbeitet werden konnte. Alle sind zusammengerückt und – juhuu, wir haben als Team diese Zeiten gerockt, Und jetzt: wie, Sie wollen im Home Office arbeiten? Nein, Sie sind jetzt bitte wieder an x Tagen im Büro. Das geht nicht anders. Bitte? Kurz an die Leine und Kontrollverlust? Wie wirkt das denn bitte auf die Mitarbeiter?
Unternehmen und Führungskräfte müssen divers führen können. Was für den einen Mitarbeiter gut ist, kann für den Anderen den Horror darstellen. Es gibt auch viele Mitarbeiter, die froh waren, wieder ins Büro zu dürfen. Warum denn auch nicht unterschiedlich? Jedem Tierle sein Plaisierle. Jeder nach seiner Façon – es gibt viele derlei Sprüche. Klar, ein Unternehmen braucht ein paar Regeln. Aber es muss auch hinhören, was Mitarbeiter brauchen, was ist der Zeitgeist – und mit welchem fortschrittlichen Verhalten will ich mich vom Wettbewerb abgrenzen? Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Aber auch hier zurück zur Frage – ich selbst kann mich wenigstens wöchentlich fragen, was in der Woche gut und was schlecht lief? Wofür bin ich dankbar und was hätte ich gerne mehr? Sich selbst mal hinterfragen: Wenn es mir richtig gut gehen würde, was müsste dann sein? Daraus kann man wunderbar ableiten, was man ändern könnte. Oder auch feststellen, wie gut ja doch das eine oder andere ist.
Und was kann ich als Führungskraft tun, um für mich, aber auch für mein Team Burnout Prävention und damit konkrete Maßnahmen umzusetzen?
Den Mitarbeiter als Mensch und nicht als reinen Leistungserfüller sehen. Hin- und zuhören, da sein. Offene Tür-Politik, ein Klima des Vertrauens und der konstruktiven Kritik hegen. Sich nichts vergeben, auch mal zu loben und zu bedanken – angepasst und nicht bei jeder Kleinigkeit. Gerecht und transparent. Vor allen Dingen sollten Sie sich selbst mögen. Als Team funktionieren zu können -also das Klima des Vertrauens über Teambuildingmaßnahmen beispielsweise. Nur wenn man sich gut kennt, kann man den Anderen auch gut wahrnehmen – und so entsteht ein Team, das sich selbst bewusst wird, und auch danach handeln kann: Alle sitzen im gleichen Boot. Die vorhandene Energie und Kraft führt viel schneller und kräfteschonender zum Ziel, wenn alle in die gleiche Richtung rudern. Konflikte sollten gar nicht erst ausbrechen. Auch die können durch Transparenz, offene Kommunikation vermieden werden.